Aktuell > Prozesse wegen Aktionen gegen Atomwaffen > Hermann Theisen
Ergebnis des Prozesses in Cochem am 6. Februar 2017: Freispruch ist endgültig
Hintergrundinformation: Pressemitteilung der DFG-VK Baden-Württemberg, 2.2.2017
Das Amtsgericht Cochem wird am Montag, 06.02.2017 (Ravenestraße 39, 56812 Cochem, Sitzungssaal 100), zum letzen Mal über die Strafbarkeit von atomwaffenkritischen Aufrufen zum Whistleblowing entscheiden. Hintergrund davon sind Flugblätter des Heidelberger Atomwaffengegners Hermann Theisen, die er seit Sommer 2014 immer wieder an Bundeswehrsoldaten des Fliegerhorsts Büchel (Rheinland-Pfalz) verteilt hat, um damit gegen die geplante Modernisierung der dort stationierten Atomwaffen zu protestieren. Das Amtsgericht Cochem sieht darin eine Aufforderung zum Verrat von Dienstgeheimnissen (§§ 111, 353b StGB) und verurteilte Theisen im September 2015 und Februar 2016 zu Geldstrafen von insgesamt 3.600 Euro (120 Tagessätze). Amtsrichter Gerald Michel kündigte für weitere Flugblattverteilungen die Verhängung einer Haftstrafe an, wie sie von Oberstaatsanwalt Ralf Tries noch in der Verhandlung im Februar 2015 gefordert worden war.
Im Sommer 2016 hob das Landgericht Koblenz beide Verurteilungen auf, da die von Theisen verbreiteten Flugblätter durch das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung gedeckt seien. Richter Bernd Minnebeck entschied, dass bei der Verteilung der Flugblätter „nicht der Aufforderungscharakter zur Begehung von Straftaten im Forderung stehen sollte, sondern insgesamt eine Auseinandersetzung in der politischen Meinungsbildung in einer die Öffentlichkeit wesentlich und sogar existentiell betreffenden Frage.“ (5 Ns 2010 Js 13035/15)
Oberstaatsanwalt Tries legte daraufhin Revision beim Oberlandesgericht Koblenz ein und begründete diese ausführlich. Drei Monate später teilte er dem Amtsgericht Cochem und Theisen dann jedoch überraschenderweise mit, dass er die Revision „mangels Erfolgsaussichten“ wieder zurückgenommen habe. Das in Cochem noch anhängige Strafverfahren könne wegen „geringem Verschulden“ eingestellt werden. Nachdem nun Amtsrichter Michel die Anklagebegründung weggefallen ist, er aber ursprünglich zu einer Haftstrafe verurteilen wollte, bleibt der Ausgang des Strafverfahrens spannend. Michel könnte abweichend von der Auffassung der Staatsanwaltschaft Koblenz zwar auch verurteilen, „aber damit würde der juristische Umgang mit meinen atomwaffenkritischen Flugblättern vollends zu einer kafkaesken Posse werden“, so Theisen.
Der Friedensaktivist, der auch in der Deutschen Friedensgesellschaft - Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen aktiv ist, zeigt sich noch immer sehr erstaunt darüber, „dass es überhaupt zu Anklagen gekommen ist.“ Er erinnert daran, dass der Bundesgerichtshof bereits 1965 in dem wegweisenden „Pätsch-Urteil“ ausdrücklich das Recht zur Rüge bejaht hat, wenn es um bedeutsame politische Sachverhalte geht. In der damaligen Urteilsbegründung heißt es: „Das Recht zur Rüge von Mißständen im öffentlichen Leben tritt also, wenn die Rüge zur Preisgabe von Staatsgeheimnissen zwingt, in Widerstreit zu der Pflicht, Staatsgeheimnisse geheimzuhalten. (…) Die Entscheidung des Widerstreits der Belange des Staates und des Grundrechts des Staatsbürgers kann nur in einem nach Güter- und Pflichtenabwägung vorgenommenen Ausgleich liegen.“ (BGH - 8 StE 1/65).
Für Hermann Theisen steht außer Frage, dass es sich bei der geplanten Atomwaffenmodernisierung um ein Thema von derart existentieller Bedeutung handelt, dass es hier nicht nur ein Recht, sondern sogar eine Pflicht zur Rüge und zum Widerstand gibt: „Die Doomsday Clock wurde erst vor wenigen Tagen wegen des schleppenden Kampfes gegen den Klimawandel und dem geplanten Ausbau der Atomwaffenarsenale auf zweieinhalb Minuten vor zwölf vorgestellt. Die Zivilgesellschaft, d.h wir alle, sind deshalb mehr denn je gefordert, uns hier politisch einzumischen. Meine atomwaffenkritischen Flugblätter verstehe ich somit als Beitrag im politischen Meinungskampf um die Frage der Atomwaffenmodernisierung. Richter Michel hat sich der vom Bundesgerichtshof geforderten Güter- und Pflichtenabwägung bisher komplett verweigert, ich erwarte nach der Revisionsrücknahme der Staatsanwaltschaft Koblenz nun aber einen vollumfänglichen Freispruch.“
Roland Blach (Geschäftsführer der DFG-VK Baden-Württemberg) ergänzt: „Zum Beginn der Verhandlungen für ein Atomwaffenverbot in New York starten wir am 26. März in Büchel die diesjährige zwanzigwöchige Aktionspräsenz mit einer abrüstungspolitischen Matinee in Cochem und einer Mahnwache vor dem Haupttor des Fliegerhorstes. Dazu haben sich bereits Europa- und Bundestagspolitiker verschiedener Parteien sowie Bürgermeister und Stadträte aus Mayors for Peace Städten angekündigt.“
Kontakt:Hermann Theisen, Tel.: 0151/54727508, Roland Blach, Tel.: 0177/250728